INFO
Erschienen anlässlich des 15. Todestages von Gunther Erdmann:
Live-Mitschnitt des Gedenkkonzerts des Landesjugendchors Brandenburg unter der Leitung von Hans-Peter Schurz im Kleinen Sendesaal des RBB (Haus des Rundfunks Berlin).
Gunther Erdmann (1939 – 1996)
2009 begingen wir Gunther Erdmanns 70. Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums fanden einige Konzerte statt. Der Landesjugendchor Brandenburg gestaltete am 21.11. 2010 im Haus des Rundfunks Berlin zu Ehren des Komponisten ein Gedenkkonzert, das hiermit als Live-CD vorliegt. Während der Konzertplanung und -erarbeitung erweckten die Titel meine Erinnerungen an ihn aufs Neue.
Ich lernte Gunther Erdmann beim Internationalen Chorseminar 1969 in Berlin kennen. Als junger Teilnehmer hatte ich im Abschlusskonzert im Apollo-Saal der Deutschen Staatsoper „Hei, hei, tanderadei" aus seinem Zyklus „Wasser murmelt, Wasser rieselt" zu dirigieren. Mein Hochschullehrer, Prof. Fritz Höft, stellte mir anschließend den Komponisten vor. Ich lernte einen ruhigen, freundlichen, jungen Mann kennen, der durch seinen wallenden Vollbart und seine krausen, langen Haare auffiel.
Seine Schlichtheit beeindruckte mich und aus dieser ersten Begegnung wurde eine enge Freundschaft bis zu seinem Tode.
Gunthers unverwechselbare Handschrift, sein rustikaler Rhythmus, seine zündenden, aber auch seine lyrischen und weitgeschwungenen Melodien eroberten das Repertoire aller Chorgattungen. Er hatte die Gabe, die Stimmen chorisch zu führen, ohne das man die Schwierigkeiten der Werke spürte. Seine kompositorische Einfachheit ließ Kunstwerke entstehen, die jeder Chor noch heute gern singt und die beim Publikum Heiterkeit, aber auch innere Stille erzeugen. Dabei hatten es ihm besonders die Kinder- und Jugendchöre angetan. Mit größter Sorgfalt wählte er altersspezifische Texte aus, mit denen sich diese Chöre identifizierten konnten. Er hatte somit einen großen Anteil daran, dass viele Jugendliche den Chorgesang nicht „verstaubt", sondern wirklichkeitsnah erlebten und allein dadurch Lust an dieser aktiven musikalischen Betätigung bekamen. So war er immer wieder gern gesehener Gast bei Chorproben und -lehrgängen. Von dieser Symbiose zwischen Komponist und Interpret machte er regen Gebrauch. Still saß er bei der Erarbeitung seiner Lieder in der Probe und geradezu vorsichtig trat er nur auf Anfrage des Dirigenten nach vorn, um gutgemeinte Ratschläge zu geben. Dabei wäre es für den studierten Chordirigenten und Komponisten ein Leichtes gewesen, die Initiative bei der Einstudierung zu ergreifen.
Schon während des Studiums an der Musikhochschule „Hanns Eisler" Berlin zeigte sich neben dem Chordirigenten der Liedkomponist. Seine Kompositionsstudien bei Günter Kochan und Jürgen Wilbrandt galten besonders dieser Sparte. Es tat ihm manchmal weh, zu den weniger geachteten Komponisten zu gehören, weil sie ja nur Lieder schrieben. Aber welcher dieser Liedkomponisten hatte damals Besseres anzubieten?
Wenn GuntherErdmann sich auch zuweilen in anderen Musikgattungen versuchte, war neben bekannt gewordenen Filmmusiken sein Chorlied primär und unerreicht.
Die musikalische Tätigkeit mit Kindern war ihm ans Herz gewachsen. Seine bis zu 200 Kinder umfassende Berliner Gruppe „Musik und Bewegung" stellte ein Musterbeispiel musikerzieherischer Arbeit im Orffschen Sinne dar, den Ruf „Onkel Gunther" hörte man jeden Nachmittag aus den Übungsräumen schallen. Dort saß er zusammen mit seinen großen und kleinen Schülern am Klavier, komponierte in grenzenloser Geduld, arrangierte, sang und machte Späße.
Seine musikalischen Einfälle überzeugten viele Dirigenten und auch ich habe ihm musikalisch sehr viel zu verdanken. Ohne seine klanglichen Hinweise und urwüchsigen kompositorischen Mittel, seine enge Beziehung zum Leben und seine Kreativität wäre mein Chorleiterleben nicht so geradlinig verlaufen.
An technischen Besonderheiten hatte er wenig Interesse, genauso wie er kein Geschäftsmann war. Aber Farben, Himmel, Bäume, Worte, Landschaften ... das waren Größen, aus denen er seine musikalischen Intentionen schöpfte. So war immer wieder erhebend zu erleben, wie er entstandene Kompositionen mit vorhergegangenen Episoden oder Erlebnissen verknüpfte.
Obwohl es um Gunther Erdmann nach 1990 aus gesundheitlichen Gründen still wurde, waren seine Lieder nicht verstummt. Während eines Chordirigentenseminars im fernen Australien erreichte mich im Oktober 1996 die Nachricht, dass Gunther Erdmann gestorben war. Fast zu gleicher Stunde stellte ich in Melbourne seinen „Europäischen Weihnachtskalender" vor. Damals bewies der Beifall, dass Gunthers Chormusik neue Freunde gefunden hatte. Voller Trauer schrieben wir am Schluss unseres Seminars die Lebensdaten 1939 – 1996 über den soeben gesungenen Weihnachtslieder-Zyklus.
Inzwischen ist Erdmanns Liedschaffen mehr im Ausland als in Deutschland bekannt. In meinen jährlichen „Südamerika Seminaren" spüre ich sowohl an Musikhochschulen und Universitäten als auch bei praxiserfahrenen Dirigenten in Brasilien, Paraguay, Argentinien und Chile ein reges Interesse an seinen Kompositionen und Liedsätzen.
Dank seiner Freunde sind weitere Stücke in einzelnen Verlagen erschienen. Trotzdem liegen noch viele Kompositionen aufgrund früherer Verlagspolitik in den Schubfächern ostdeutscher Chorleiter. Freunde in seinem thüringischen Geburtsort Oberdorla, in Halle und in Neuruppin werden weiterhin alles unternehmen, dass sich Erdmanns Chormusik in ganz Deutschland verbreitet. Der vorliegende RBB-Mitschnitt des Jubilämskonzerts soll helfen, Erdmanns Chorlieder noch bekannter zu machen.
Neuruppin, im Juli 2010
Prof. Hans-Peter Schurz