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TORSI
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Alexander Scholz / editor
Dass das Buch verschnürt ist, hat natürlich doppelte Bedeutung. Dabei ist es harmlos, eher die Arbeitsweise und die Besessenheit Försterlings ist furchteinflößend - er sagte mal zu mir: das erfinde ich nicht, schalten Sie den Fernseher ein, da ist das kranke Zeug - aber natürlich erfindet er trotzdem diese poetischen, teilweise vor Brutalität strotzdenen Bilder, die einfach nur schön und gar nicht brutal sind. Es überlagern sich hier Bildwelten - ich bezeichne so etwas gern als sich aufpeitschende Spirale oder Wirbelsturm - in der Sichtweise des Betrachters mit dem was dargestellt zu sein scheint. Natürlich erinnern manche Bilder an Bondage, an Schmerz, an Gehäutete - und dies von einer höchsten, künstlerischen Perspektive. Und wie auch in der Arbeistweise von Kollegen Thomas Karsten oder Alvin Booth wiederholt sich die Herangehensweise: die Modelle bestimmen in gewisser Weise, was Försterling fotografieren soll.
Die Buchbindekünstlerin Rita Lass / Halle entwickelte für uns auf Anfrage eine besondere Buchbindetechnik. Eine Alte Technik wird hier erweitert durch das Herausführen der Bänder, die dann das Buch verschnüren - hier in Anlehnung an Bondage-Kunst.
Jedes Buch ist somit ein Unikat.
Einbandmaterial sowie Vorsätze sind sehr sensitiv gewählt.
Gedruckt sind die Bilder digital auf schwedischen MUNKEN Papier.
Dr. Marc Gundel von den Städtischen Museum Heilbronn mit TORSI:
Es wäre zu schön, wenn er der triebgesteuerte Macho wäre, wofür man(n) ihn nach einer flüchtigen Begegnung halten könnte. Mitunter ist er zu direkt und gibt sich Mühe, ein wenig garstig zu sein. Doch - sie müssen mir glauben - sein Lustgewinn beim Fotografieren ist marginal, von einem Boheme-Dasein im idyllischen Eppingen ganz zu schweigen.
Im Gegenteil: Hermann Försterling ist sehr diszipliniert und handwerklich hochbegabt – Theorien sind weniger seine Sache. Er ist ein Hand-Werker – einer bei dem Kunst noch mit Können zu tun hat. Für sich spricht, dass er als einer der letzten Drucker in Europa überhaupt die zeitintensive, aufwändige und gesundheitsschädliche Technik der Heliogravüre perfekt beherrscht. Die Serie „Heads" ist hierfür Beispiel und zugleich eine eindrucksvolle Hommage an diese Technik. Damals war er sein eigenes Modell, Hermann Försterling schonte weder sich und noch seinen Körper. Zwangsläufig ist er ebenso unerbittlich, wenn es um Aufnahmen mit Modellen geht. Daher kommt für ihn eine Zusammenarbeit mit Modepüppchen nicht in Frage.
Für Hermann Försterlings und seine Arbeitsweise ist typisch, dass er sich an seinen Modellen sowie am Thema abarbeitet, indem er es in Gänze zu erfassen versucht. Dies gilt neben den „Heads" auch für seine erste Serie „Zur Zeit". Es liegt mit am Anspruch und an der Tradition des Themas, dass die „Torsi" erst heute erscheinen.
Der italienische Begriff Torso bedeutet Fruchtkern und Kohlstrunk. Er bezeichnet eine fragmentierte oder bewusst unvollendete Statue, bei der Teile fehlen oder abgebrochen sind. Nach dem Vorbild des berühmten „Torso von Belvedere" wurde der Torso im 16. Jahrhundert zu einer selbständigen Kunstform. An der Wende zum 20. Jahrhundert machte Auguste Rodin den Torso zu einem autonomen Motiv, seitdem ist diese Form aus der Geschichte der modernen Bildhauerei nicht mehr wegzudenken. Bei Künstlern wie Wilhelm Lehmbruck, Hans Arp oder Henry Moore verkörpert der Torso gar die künstlerische Idee: die Fragmentierung der menschlichen Figur ist gleichsam künstlerische Konzeption.
Die Liste der Fotografen, die sich diesem Thema genähert und gewidmet haben, ist nicht weniger prominent. So hat Hermann Försterling Vorläufer in Man Ray, Herbert Bayer oder Hans Bellmer, allesamt für das 20. Jahrhundert richtungsweisende Fotografen.
Überblickt man die seit 2001 entstandenen „Torsi", ist eine Entwicklung im eigentlichen Sinne nicht zu erkennen. Ein Grund hierfür sind die eingeschränkten, jedoch im Wortsinn elementaren Arbeitsbedingungen: Hermann Försterling funktioniert sein kleines Atelier mit Hilfe eines Bassins um. Neben Wasser setzt er Grafit und Farben als künstlerisches Mittel ein, das den Körper der Frauen überzieht. Im Kontrast zu den begrenzten Möglichkeiten stehen die Ergebnisse.
Hermann Försterlings Auge ist geschult, er hat klare Vorstellungen, ist Dramaturg und setzt in Szene. So entstehen zwei Gruppen von Aufnahmen: eine künstlerisch freie, experimentellere sowie eine expressivere, stärker inhaltlich akzentuierte Gruppe von Bilder. Die eine bezieht ihre Wirkung aus dem Einsatz von Wasser, Haut und Licht, die andere konzentriert sich auf die Körper und deren surreal anmutende Bewegungen. Beides erreicht Hermann Försterling durch den perfekten Einsatz sowie den Wechsel von Blitz- und Dauerlicht. Doch die qualitätvollsten Aufnahmen entstehen nicht allein durch künstlerische Erfahrung und technische Professionalität. Dazu braucht es die Spontaneität der Modelle, die entsprechende Stimmung und einen Hauch Zufall. In diesem Fall wirken Motio und Emotio authentisch, die Frauen sind eins mit ihrem Körper und besitzen buchstäblich Anima, also Seele. Hermann Försterlings „Torsi" sind für mich ein Gegenentwurf zur heutigen Veräußerlichung, zu unserer eigenen Unfähigkeit zu Gefühlen und diese zu zulassen. Das „Ausgesetztsein" der Modelle ist mit der des Künstlers vergleichbar, der sich einem komplexen und nicht steuerbaren künstlerischen Schaffensprozess sowie der Kritik der Öffentlichkeit und der Medien gegenüber sieht. Im Grunde seines Herzens ist Hermann Försterling ein Romantiker, der sich das Staunen vom Ursprung des Lebens bewahrt hat und durch seine Bilder rettet – für sich und für uns.
Wolfgang Grätz / Büchergilde Galerie über Hermann Försterling
Mit keinem anderen Fotokünstler habe ich für den Büchergilde artclub so viele Editionen verlegt wie mit diesem: Man könnte sich fast fragen, ob es keine anderen gäbe – normalerweise ist mein Anspruch als Kunstverleger der Büchergilde ja, einen Überblick über alle bedeutenden Künstler eines Genres wie der Fotografie oder z.B. der figurativen Druckgrafik zu schaffen.
Der Grund für meine Försterlingmania ist einfach: Für mich ist er schlicht einer der besten, ehrlichsten und innovativsten Künstler im Bereich der zeitgenössischen Fotografie. Das ist ein großes Wort, und ich muss es natürlich einschränken auf den Teil der Fotoszene, den ich kenne. Da aber neben meinem beruflichen Interesse auch persönliche Leidenschaft in Bezug auf Fotografie im Spiel ist und Neugierde auf alles in diesem Bereich, traue ich mir eine ganz gute Szenekenntnis zu.
Ähnlich wie das Internet in den letzten 10 Jahren unser Leben grundlegend verändert hat, hat auch die Digitalisierung der Fotografie diese im gleichen Zeitraum in einem Maße revolutioniert wie vorher 100 Jahre lang nicht. Denn da war die einzige Innovation die Farbfotografie.
Die erst mal kostenlos zu erzeugende digitale Bilderflut wie die relativ leicht zu bewerkstelligende totale Manipulation des fertigen Bildes am Computer haben Handwerklichkeit, Phantasie und den Begriff des Originalfotos ent- oder umgewertet. Alle Beteiligten: Fotoreporter, Fotokünstler, Bildrezipienten und Fotosammler müssen sich neu orientieren, neue Standpunkte erarbeiten und dies in einer Situation, in der sich die technische Entwicklung eher beschleunigt als dass sie zu einem Ende käme.
Försterling, um es vorwegzunehmen, arbeitet mit sämtlichen Möglichkeiten, die die Technik bietet – und zwar mit ganz alten wie der Heliogravüre genauso und genauso virtuos wie mit ganz neuen, z.B. mit dem Scanner zu fotografieren. Und in jeder dieser Techniken strebt er nach deren meisterhafter Beherrschung – damit er in seinen Bildgestaltungen nicht von Unzulänglichkeiten, Zufällen und Überraschungen eingeschränkt wird.
So ist er einer der drei besten Heliogravüre-Drucker in Europa, der diese alte Technik gestandenen Tiefdruckern beibringt. Bei der Heliogravüre wird ein analog belich-teter Film in einem labilen Verfahren auf eine Kupfer-platte übertragen und geätzt, so dass dann die Fotografie wie eine Radierung auf Bütten gedruckt werden kann. Diese Technik erlaubt erheblich feinere Grauwert-Abstufungen als die normale Fotopapierausbelichtung. Die letz-ten Monate hat Försterling sich intensiv damit beschäf-tigt, die Möglichkeit der Heliogravüre auch für die digi-tale Fotografie nutzbar zu machen. Eine Pionierarbeit, Materialschlacht und – höchste Herausforderung für den Ehrgeiz des Künstlers. Die gelungenen Ergebnisse sind in unserer Ausstellung zu sehen.
Er war aber auch der erste Künstler, den ich kannte, der einen digitalen Farbdrucker mit 8 verschiedenen Farbpat-ronen im Atelier stehen hatte, um perfekte Drucke seiner Scannerfotografie zu erreichen – auf Büttenpapiere, die er mit eigener Rezeptur für den Druck präpariert. Die Rosenbilder, die er für die Büchergilde geschaffen hat, sind auf diese Weise entstanden, und es ist unvorstellbar, welche Bildinformationen diese Fotodateien enthalten – das menschliche Auge nimmt kaum ein Tausendstel davon wahr.
Wahr-Nehmen, das ist ein wichtiges Stichwort. Försterling fordert von sich als Künstler permanente Innovation, nicht im Sinne von aufgeregten Experimenten, sondern künstlerische Aussagen, die nicht banal sind, die nicht schon von Hunderten anderen durchgekaut und entschärft sind. Das bedeutet, dass er in seiner Bildsprache Grenzen überschreitet, Tabus bricht, dem Betrachter etwas zumutet.
Ich belästige Sie hier ja des Öfteren mit meinen eigenen Skrupeln – so sei offen gestanden, dass ich mich anfangs weigerte, eines von Försterlings Torsi-Motiven im Bücher-gilde-artclub zu offerieren. Ich argumentierte, dass der Torso etwas Verletztes sei und dass die Bilder an brutale Gewalt gegen Frauen denken lassen. Nun, das ist eine mögliche Sichtweise. Aber diese Gewalt gibt es, wieso soll Kunst sich nicht damit auseinandersetzen. Andererseits ist der Torso in der Bildenden Kunst seit Jahrtausenden eine Technik, einen anderen Blick auf den menschlichen Körper zu generieren; eine Form, die mit Gewalt nichts zu tun hat.
Der menschliche Körper steht im Mittelpunkt von Försterlings Arbeit. Das kann der eigene Kopf sein – seine Serie "Heads" wurde in einem leider schon lange vergrif-fenen Fotoband publiziert –, oder es ist der nackte weib-liche Körper, den er aber so verfremdet, dass das Bild mehr Rätsel aufgibt, als dass von Enthüllung die Rede sein könnte.
Försterling nutzt auch die Möglichkeiten der Bildbearbeitung, die die digitale Fotografie eröffnet. Für seine Serie "Flora Magica" hat er in Hunderte von Blüten-aufnahmen jeweils ein weibliches Geschlechtsorgan ver-
steckt, meist so, das es der unbefangene Betrachter für einen authentischen Teil der Pflanze halten muss. Und typisch für den Künstler ist, dass, als er keinen Verlag für diese Arbeiten fand, das Buch selbst verlegte und in höchster Farbqualität drucken ließ (s.u.).
Es wird Sie vielleicht nicht allzu sehr wundern, dass Försterling auch als brillanter Maler arbeitet, selbstverständlich in altmeisterlicher Technik, wo er in wochenlanger Arbeit Farbschicht auf Farbschicht lasiert, um das Licht quasi
von innen aus dem Bild heraus scheinen zu lassen, gleichwohl ordnet er die Malerei im eigenen Werk der Fotografie unter.
Hermann Försterling, 1955 geboren, studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und lebt als freischaffender Künstler in Eppingen.